Um nicht alles auf eine Karte zu setzen, reisten wir 10 Darmstädter gleich mit drei verschiedenen Transportmitteln – Bus, Flugzeug und Pkw –, doch letztlich erfolgreich -
und vor allem liebevoll in Empfang genommen - in Oberschlesien an. Die Unterbringung erfolgte bei den drei Gastfamilien Beck, Nycz und Zalewski sowie in einem Hotel. Verteilt waren wir – einschließlich Halina und Liza aus Lublin - auf vier Ortschaften: Wilmesau (Wilamowice), Pless (Pszczyna), Bad Gottschalkowitz (Goczalkowice Zdroj), Loslau (Wodzislaw Slaski) und Bielitz-Biała (Bielsko-Biała). Es kostete in der Folge einen nicht unerheblichen zeitlichen wie logistischen Aufwand, uns zu allen gemeinsamen Unternehmungen zusammen- und auch wieder zurückzubringen.
Wer nicht wie Erika, Heinz, Halina, Liza und ich in der „Willa Anna“ untergebracht war, dem sei hiermit kundgetan, dass wir Hotelgäste uns nach unserer Ankunft mit Peter und Robert in einem Bad Gottschalkowitzer Restaurant trafen, in dem ich – und das auch noch auf Deutsch – sogar mit Radler bedient wurde. Andernorts musste ich den mir von da an - mit manchmal etwas merkwürdigen Zutaten - selber mischen. Während der folgenden Tage wurde mir gastgeberseits viel „Wudka“ angeboten, aber ich wollte dann doch lieber meine Leber schonen.
Samstag, 09.06.
Besuch der Stadt Bielitz-Biała
60 km südlich der schlesischen Hauptstadt Kattowitz und 40 km ostwärts der tschechischen Grenze liegt Bielitz-Biała, ein Zusammenschluss der ostschlesischen Stadt Bielitz und der kleinpolnischen Stadt Biała. Nachdem wir dort alle zusammengekarrt worden waren, konnten wir uns das erste Mal persönlich davon überzeugen, dass wir wirklich alle angekommen waren. An insbesondere ins Auge fallenden Jugendstilhäusern vorbei, die Bialka - einen Nebenfluss der Weichsel - entlangschlendernd gelangten wir zum ersten der insgesamt vierzehn kulinarischen Höhepunkte auf dieser Begegnungsfahrt.
Nach dem Besuch der „Alten Fabrik“, einem historischen Museum für Textilienproduktion verabschiedete sich das bis dahin sonnige Wetter, während wir mit der Straßenbahn Blitz und Donner entgegenfuhren, um in die Nähe der Kamitzer Platte (Szyndzielnia) zu gelangen. Als der Regen etwas nachgelassen hatte, fuhr der Kabinenlift wieder und brachte uns auf den Vorgipfel des 1028 m hohen Berges in den Schlesischen Beskiden. Von da aus ging es die letzten Meter zum eigentlichen Gipfel für diejenigen, die es schafften, zu Fuß weiter.
Abendessen bei Jola & Jurek
Das erste Abendessen konnte bei den Gastgebern von Irmi & Alfred quasi im Freien stattfinden, denn es regnete nicht mehr. Alles, was es außer dem abschließenden Kuchen zu essen gab, kam von Anfang an auf den Tisch, insbesondere Berge von Fleisch. Das schaffte Klarheit, was ich an den beiden folgenden Abenden etwas vermisste. Dass Jurek nach dem Mahl insbesondere die deutschen Gäste zum Singen aufforderte war sicherlich gut gemeint. Doch gerade in solch einem Fall ist auf Halina und Liza Verlass; die Beiden haben uns nämlich dann rausgerissen.
Sonntag, 10.06.
Besuch der Städte Ustroń und Wisła
In Ustroń – das liegt 20 km südwestlich von Bielitz-Biała am Oberlauf der Weichsel in den Schlesischen Beskiden – also in Ustroń erwartete uns ein Hüttenmuseum, und zwar mit englischer Führung – glaube ich mich zu erinnern - durch eine Ungarin. Inzwischen schien auch wieder die Sonne, und so ging es anschließend nach Wisła, gleichfalls in den Schlesischen Beskiden an der Weichsel gelegen, die etwa zehn Kilometer südöstlich der Stadt entspringt. Nach etwas Freizeit fuhren wir für das Mittagessen zu einem Aussichtspunkt weiter, von wo aus sich auch der Große Czantory-Berg aus der Ferne in Augenschein nehmen ließ.
Dieser Berg, polnisch Czantoria Wielka und tschechisch Velká Čantoryje genannt, ist der höchste Gipfel im tschechischen Teil der Schlesischen Beskiden. Der Kamm der Čantoryje bildet die Staatsgrenze zwischen Tschechien und Polen. Über den Kamm dieses mächtigen Bergmassivs verläuft auch die Wasserscheide zwischen Oder und Weichsel. Hinauf ging es diesmal mit einem Sessellift, und nach einer halben Stunde Spaziergang in strahlendem Sonnenschein gipfelwärts konnten wir unser erstes tschechisches Bier genießen. Anders als am Vortag hielt uns kein Gewitter davon ab, den Aussichtsturm zu erklimmen und den Blick weit in die Lande schweifen zu lassen.
Abendessen bei Aneta & Robert
Wie am Vorabend, so saßen wir auch bei Peters Gastgebern unter einem Zeltdach quasi im Freien. Und ebenfalls viel Mühe hatten sie sich für die Vorbereitung des Abendessens gegeben. Dieses wurde in Etappen gereicht, und bevor ich beim Fisch zulangen konnte, fragte mich mein Chauffeur bereits, ob wir aufbrechen können. „Gott sei Dank“ möchte ich im Nachhinein doch sagen, denn sonst brächte ich jetzt noch mehr auf die Waage.
In angenehmer Erinnerung bleibt mir vor allem, dass sich die über zwei Dutzend Anwesenden nicht an die Tafel klammerten, sondern sich zwischen den einzelnen Gängen in Gruppen über Haus und Garten verteilten, so dass man abwechselnd von einer zur anderen schlendern konnte. Besonders auf die Kinder des Hauses machte dabei meine 500.000 Złoty-Note Eindruck, die ich stolz vorzeigen konnte, ein Erinnerungsstück an frühere Polenaufenthalte mit der Jahreszahl 1993.
Montag, 11.06.
Besuch der Stadt Pszczyna (Pless)
37 Kilometer südlich von Kattowitz liegt im oberschlesischen Hügelland die Stadt Pszczyna, durchflossen vom Plessebach (Pszczynka), einem Nebenfluss der Weichsel. Unter weiteren Attraktionen sticht das dortige Fürstenschloss hervor, in dem die Oberste Heeresleitung im I. WK u. a. den uneingeschränkten U-Boot-Krieg beschloss. Wenigstens Bausubstanz und Interieur haben, soweit wir uns davon überzeugen konnten, selbst den II. WK nebst Nachkriegszeit unbeschadet überstanden.
Nach dem individuellen Rundgang mit Kopfhörer und ein bisschen Freizeit gingen wir durch die historische Altstadt zu einem Freilichtmuseum mit altehrwürdigen Bauernhäusern. Nach dem Mittagessen in Skansen besichtigten wir erst einen Wisent-Park, dann den weitläufigen öffentlichen Kapias-Garten und hernach einen Stausee.
Abendessen bei Genia & Boguś
Wie an den vorangegangenen beiden Abenden, so waren auch die Gastgeber von Britt und Rolf locker dazu in der Lage, unter ihrem Verandadach 26 Personen – vor allem mit Gulaschsuppe, Kuchen und Gebäck - zu beköstigen. Wem das immer noch nicht reichte, konnte an verschiedenen Obstbäumen und -sträuchern naschen. Nicht allein wódka gab es wie immer bis zum Abwinken.
Dienstag, 12.06.
Besuch der Stadt Kattowitz
Irgendwer muss wohl am Montag seinen Teller nicht leergegessen haben. Jedenfalls regnete es, als wir nach Kattowitz zum Schlesischen Museum fuhren, in dem mich aus persönlichen Gründen am meisten die Abteilung fesselte, in der „die Geschichte Oberschlesiens im Laufe der Jahrhunderte“ dreisprachig – auf Polnisch, Englisch und Deutsch - dargestellt war. Zwar konnten wir nicht auf den Aufzugsturm des „Warschauer“ Kohlegrubenschachtes, um von dort aus das Panorama der gesamten Stadt zu genießen; zumindest einen Teil davon bekamen wir jedoch auch von der Sport- und Unterhaltungshalle „Spodek“ (dt. „Untertasse“) aus zu Gesicht. Bei einem kurzen Gang durch das Stadtzentrum fiel uns einiges an Gebäuden in Jugendstil auf.
Nikischschacht (Nikiszowiec) ist eine historische Arbeitersiedlung, die von 1908 bis 1924 für die Bergleute einer der vielen Kattowitzer Gruben gebaut wurde. Nach dem wie immer warmen Mittagessen – Schinken auf Kraut mit Toast (schlesisch Klappschnitte) - hatten wir Gelegenheit, uns – mit einem Kopfhörer bewaffnet – von diesem anerkannten Geschichtsdenkmal einen individuellen Eindruck zu verschaffen.
Inzwischen hatte sich das Wetter merklich gebessert - verstohlen lugte gar die Sonne hin und wieder hervor -, doch um ganz sicher zu gehen wurde das eigentlich für den Abend vorgesehene Grillen im Freien durch ein Fischessen – Forelle nach Müllerinnenart – unter dem Holzdach des Restaurants „Nad Potokiem“ ersetzt. Wie überhaupt bei allen gemeinsamen Essen nahm das Heran- und Zurückbringen der einzelnen Teilnehmer mitunter mehrere Stunden in Anspruch.
Mittwoch, 13.06.
Besuch der Brauerei in Saybusch (Żywiec)
Rund 18 km südostwärts von Bielitz-Biała liegt in Nachbarschaft des Dreiländerecks mit Tschechien und der Slowakei die Stadt Saybusch, deren polnische Bezeichnung „Zywiec“ weit über die Stadtgrenzen hinaus durch seine gleichnamige Brauerei bekannt ist. Dorthin zog es uns nicht allein wegen des Freibiers am Ende der Führung auf Deutsch, sondern auch zur Wiedersehensfreude des einen oder anderen Teilnehmers, mich eingeschlossen.
Zum Mittagessen in Koniaków im Wirtshaus Karczma Ochodzita mit Almhüttenflair gab es pierogi mit diversen Füllungen.
Auf der Rückfahrt zur Unterkunft – denn für den Abschlussabend wollten wir uns natürlich feinmachen – durften wir unterwegs auch das burgartige Hotel für Staatsgäste zumindest von außen bewundern.
Abschiedsabend
„Wie schön ist doch die Musik, aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist“ heißt es in der „Schweigsamen Frau“ von Richard Strauss. Der Diskjockey, der für uns am Abschiedsabend zum Einsatz kam, gab uns zwischendurch dankenswerterweise immer wieder Gelegenheit, die unterbrochene Unterhaltung fortzusetzen. Nicht nur galt es, die zwei Geburtstagskinder – die beiden Zwillinge Halina und Liza aus Lublin – zu ehren, sondern auch, unsererseits die Einladung, uns erneut in Darmstadt zu besuchen, auszusprechen.
Nachdem wir dem Hauptgang zugesprochen hatten, wurde ausdauernd das Tanzbein geschwungen. Und als sich die Zweiergruppierungen zugunsten größerer Formationen aufgelöst hatten, kam das komödiantische Talent einzelner Gastgeber so richtig zur Geltung. Außerdem kann ein jeder auf diese Weise seinen eigenen Stiefel tanzen, wenn man sich loslässt. Zwischendurch wurde Barszcz (Rote-Bete-Suppe) sowie mehrere Wurstsorten serviert.
Pünktlich um 22 Uhr machte der Diskjockey Feierabend, und so konnte ausgiebig voneinander Abschied nehmen, für wen tags darauf keine Gelegenheit mehr dafür war.
Donnerstag, 14.06.
Rückreise
Hatten wir während der vergangenen Tage bereits vielfach Gelegenheit, die Schönheit der oberschlesischen Gegend kennenzulernen, so setzte Boguś noch einen drauf, als er die Flugreisenden zum Flughafen in Kraków geleitete. Ich dachte schon, sein Navi sei kaputt. Doch irgendwie war das für mich der würdige Ausklang einer so vielseitigen wie erfahrungsreichen Woche bei guten Freunden. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder!
Georg Urbanski
Zum Vergrößern auf die Bilder klicken!