„Hätte ich statt meines kleinen Flitzers doch bloß den Jeep genommen“, schießt es mir am Nachmittag des 1. Mai durch den Kopf, als ich mich, nur noch wenige Kilometer vor Proślice, auf einem Feldweg zwischen zwei regengefüllten Schlaglöchern entscheiden muss. Ausschließlich „befestigte Straßen“ sind mit meinem Navi vereinbart. Hinter uns liegen bereits 850 Kilometer, deren Autobahnanteil ab der Neiße mir – nicht zuletzt in puncto Sauberkeit auf den Rastplätzen - noch besser gefielen als die Strecke bis nach Görlitz.
Aber nun das hier! Was tun, wenn meine beiden Beifahrer es nicht schaffen, mich anzuschieben, falls wir steckenbleiben?
Endlich taucht das altehrwürdige Gemäuer von Schloss Proślice auf, und Roma, die Schlossherrin, nimmt uns freudestrahlend in Empfang. Stolz präsentiert sie uns treppauf, treppab die Örtlichkeiten, aber es wird noch so einige Zeit brauchen, bis man sich nicht mehr verläuft. Von der Sektion Darmstadt sind wir die ersten Ankömmlinge. Sieben weitere kommen im Laufe des Abends noch dazu. Von Lubliner Seite nehmen fünf Vertreter an der diesjährigen Begegnung teil.
Die polnische Liza - also nicht unsere Lisa - hat einen CD-Spieler mitgebracht. Am 2. Mai bietet er uns beispielsweise vormittags Ausschnitte aus Chopins Schaffen dar. Anschließend begleitet er uns beim Polonaise-Tanzen. Das mag den einen oder anderen ein wenig schlauchen, und so wird ein für den Nachmittag vorgesehener Spaziergang gestrichen, muss ich feststellen, als ich mich mit Stock und Hut zur Stelle melde. Das Ziel, eine Burg, auf der ein Ritter-Festival irgendwo ganz in der Nähe stattfindet, soll jetzt mit dem Auto erreicht werden. Auch ich darf chauffieren. Allerdings ist die Autokolonne schon längst über alle Berge, bevor meine letzte Beifahrerin aus dem Schloss herausgefunden hat und zugestiegen ist.
Warten wir jetzt, bis unser Ausbleiben auffällt und man vielleicht reumütig zu uns zurückkehrt oder ist dies unsere Chance für ein Abenteuer? Wir entscheiden uns für Letzteres und liegen damit goldrichtig, denn schon nach kurzer Fahrt zwingen uns Streckenposten, die an diesem Nachmittag wegen irgendeines Radrennens zu grassieren scheinen, zu immer neuen Richtungsänderungen. Das Navi hilft uns in namentlicher Unkenntnis unseres Zieles nicht wirklich weiter. Was also tun?
Jetzt schlägt Peters Stunde. Ein ums andere Mal steigt er zur Klärung aus und macht Meinungsumfragen unter den Passanten, wenn wir eine Ortschaft passieren. Unter normalen Umständen mögen ja alle Befragten irgendwie Recht haben, aber ausgerechnet heute ist die Lage wegen des Radrennens alles andere als normal. Die Streckenposten werden mehr und mehr zu unserem eigentlichen Problem. Wäre das Vorbeikommen möglicherweise eine Verhandlungssache? Nun, am Ende reicht Peters ganzer Charme völlig dazu aus, dass wir doch noch abgabenfrei ans Ziel gelangen.
Das Tournier dreht sich darum, die deutschen Kreuzritter – die übrigens tatsächlich Deutsch sprechen – zu verdreschen. Werden da etwa alte Rechnungen beglichen? Jedenfalls geht es ordentlich zur Sache, und so ziehe ich mich, um keiner Verwechslung anheim zu fallen, vorsichtshalber so unauffällig wie möglich zu meinem Wagen zurück und träume dort schon mal von Makowki, einer schlesischen Spezialität, die uns Erika als Vorspeise zum Abendessen zubereiten will.
Auf die Fahrt nach Kreuzburg (Kluczbork) am 3. Mai ins Bienenzuchtmuseum habe ich mich gut vorbereitet. Umso energischer fallen meine Mitfahrer über mich her, als ich mich lieber auf mein Navi verlasse, statt Kolonne zu fahren. Keiner der Kolonnenfahrer erreicht, erneut von Streckenposten abgedrängt, den vereinbarten Parkplatz. Macht nichts, das Museum lässt sich ohnehin nur zu Fuß erreichen, vereint Kolonnen- wie Navifahrer und ist offen. Die Führung ist auf Polnisch, und Kamil übersetzt.
Die Holzkirche, die wir nachmittags besuchen, ist möglicherweise ebenso hochinteressant, leider aber zugeschlossen. So lassen wir es uns auf dem Balkon und der Veranda des Schlosses wohl sein und befassen uns schon mal mit unseren mitgebrachten Liedern. Es geht darum, eine passende Auswahl zu treffen. Später beim abendlichen Grillen im Park singt dann statt unsrer die Nachtigall im Mondenschein, und es wird getanzt, was die Sohle hält.
Inzwischen sind die Teilnehmer des polnischen Sprachkurses abgereist, der bis zum 3. Mai stattgefunden hat, und Roma drängt uns die dadurch freigewordenen Zimmer auf, weil die noch besser seien. Wer mag da so hartherzig sein und sich der Bitte verschließen. Die Sprachkursteilnehmer haben übrigens tags zuvor unter musikalischer Umrahmung durch einen Frauenchor ihre Zeugnisse erhalten, die Bürgermeisterin war kurz zugegen, und als ich schon dachte, jetzt gibt es Mittagessen, gab es erst einmal eine Präsentation mit anschließender Diskussion zum Thema Seniorenpolitik in Polen. Dass anderntags eine Fortsetzung zu dem Thema folgen wird, ahnen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Auf der Fahrt am 4. Mai nach Pitschen (Byczyna) gibt es keinen Streit, denn nicht ich kutschiere, sondern eine junge Polin, die mir schon am Abend zuvor beim Tanzen aufgefallen ist. Eine noch jüngere Polin führt uns erst durch die Stadt, danach zum Bürgermeister und Erika übersetzt. Anschließend fragen wir uns nach der ortsansässigen Schokoladenfabrik durch und geben dort unsere mitgebrachten Zlotys in Zahlung.
Nach dem Mittagessen zeigt uns die Kutscherin erst mal, wo sie wohnt, nämlich in der Nähe einer Apotheke, derer wir zu Versorgung eines Notfalles dringend bedürfen. Die Fahrt geht weiter nach Moschen (Moszna), wo wir uns unter fachkundiger Führung das Schloss und selbständig den Park reinziehen. Dabei erstaunt mich immer wieder, wie Vieles an Architektur bisweilen doch wenigstens einigermaßen unbeschadet durch den Krieg gekommen zu sein scheint, wenn auch nicht ohne erhebliche Abstriche beim Interieur, wenn sich die rote Armee einquartiert hatte.
Schon um 6 Uhr früh ist am 5. Mai Frühstück? Wie konnte ich dieses Ausschlusskriterium bei der Anmeldung bloß übersehen, aber nun ist es zu spät. Die Zeit drängt, da hilft kein Quieken und kein Quaken, denn der Zug, der uns nach Oppeln bringen soll, wartet nicht auf uns. Warten tut hingegen auf uns eine ausführliche Führung durch das Museum des Oppelner Schlesiens, und zwar auf Englisch.
Das ist besser als gar nichts, denn Erika steht uns heute nicht zur Verfügung und Irmi noch nicht. Darüber hinaus gibt es an den Exponaten genug deutsche Erläuterungen. Nach geistiger Nahrung bis zum Abwinken und so vielen Stunden seit dem frühen Frühstück meldet sich unmissverständlich der Magen. Es bricht fast schon Meuterei aus, als die Liza vor dem Mittagessen erst noch ihre Fotoserie mit uns vor einer Sehenswürdigkeit nach der anderen komplettieren will.
Nach dem Schmaus folgt Freizeit ad libitum! Den ursprünglich vorgesehenen St.-Anna-Berg besuchen wir ein andermal. Immerhin perlt im Schloss schon längst der Sekt im Rahmen des Abschlussabends. Seitens der Lubliner wird dabei erneut der Freude über unser Treffen umfangreich Ausdruck gegeben, was wir Darmstädter unter besonderem Hinweis auf das prächtige Schloss dankbar erwidern und dem unsere Einladung zum Gegenbesuch in Darmstadt hinzufügen. In zwei Jahren wiederum hoffen wir auf einen Austragungsort, der von polnischer Seite so zahlreich wahrgenommen werden kann wie früher.
Unglücklicherweise vereinbare ich am 6. Mai mit meinem Navi vor der Rückfahrt, Mautabschnitte zu vermeiden. Erst hinter Breslau, also viel zu spät fällt mir auf, dass mir nun sämtliche in Frage kommenden Autobahnen vorenthalten werden, die ich auf der Hinfahrt – da tatsächlich mautfrei – noch benutzen konnte. Offenbar sind in meinem Navi etliche Straßen, was ihre Beschaffenheit und ihre Mautfreiheit anbelangt, unzutreffend klassifiziert.
Georg Urbanski